Nein, hier ist nicht die Rede von Gießen. Außerdem hat Gießen keinen richtigen Stadtpark. In Gießen gab es eine Veranstaltung im Erinnerungszentrum Notaufnahmelager und eine weitere offizielle Veranstaltung im Levi-Saal mit OB Frank-Tilo Becher. Der Levi-Saal hat 156 Sitzplätze.
Aber dieser ganz andere Charakter veranlasste mich, überhaupt über unsere Erlebnis in Ilmenau zu schreiben. Wir waren zum zweiten Male dort, das Datum war dem Zufall geschuldet, denn diese wunderschöne Ferienwohnung war ein paar Tage frei. Den ganzen Tag über zwischen 9.30 und 18.00 Uhr flanierten Leute aller Altersstufen zum 700m entfernten Park an unserem Quartier vorbei. Anschließend waren es die Besucher des Jubiläumskonzertes „Die Prinzen“, das in der danebenliegenden Festhalle stattfand. Und das Wetter spielte prächtig mit (anders als bei unserer Heimreise am nächsten Tag).

Das Programm war vielfältig bunt im Park mit Ständen, Musik- und Tanzvorführungen auf der Parkbühne, Ökomenischem Gottesdienst und Fassbieranstich und Flohmarkt. Im Parkcafé gab es Diskussionen und Vortragsrunden, unter anderem von der Technischen Hochschule Ilmenau. Den Abschluss machte hier der Spiel- und Dokumentarfilm „Kommen Rührgeräte in den Himmel?“. Dabei geht es ums Plattmachen von gut laufenden Firmen, um Wegwerfgesellschaft, um Umweltschutz. (Der Film ist nicht mehr im offiziellen Verleih, wäre aber was für die Globale). Und dann gab es etliche Ausstellungen.

Natürlich aßen wir Thüringer Würstchen, aber auch ein Softeis, das Winfried sehr mag. Wir bestaunten die Oldtimer, bewunderten die vielen Feuerwehrautos, sprachen mit Amateurfunkern vom Ilmenauer DARC-Club X30, der erstaunlich viele junge Mitglieder hat. Die Stimmung im Park war gelassen und fröhlich und die Musik in angenehmer Lautstärke, bei der man sich gut unterhalten konnte. Es überwog die Freude, im wiedervereinten Deutschland zu leben. Aber noch immer ist es ein Stachel in Gefühl und Erinnerung der Älteren, darüber, was ihnen mit dem Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland auch genommen wurde. Die „Treuhand“, die ihren Namen so gar nicht verdient, hat nicht nur Schrottimmobilien, sondern gut gehende Firmen für 1€ verkauft, um sie plattzumachen. Man bekam zwar die Demokratie, in der man alles sagen kann, aber auch die oft gar nicht so „soziale Marktwirtschaft“, in der das Ausschalten von Konkurrenzunternehmen oberste Priorität hat. *1)
Dennoch würde man kaum so feiern, wenn die Wiedervereinigung nicht von der Mehrheit als positiv gesehen würde. Als „zusammengewachsen“ sehen sich dennoch nur 25% der Ostdeutschen und 37% der Westdeutschen. Ich wachse auch nicht mit Bayern zusammen, wenn ich das Bundesland besuche. Aber hinfahren, schauen und zuhören und miteinander reden ist der richtige Weg.
Die Gastrednerin im Levi-Saal, Kulturwissenschaftlerin Dr. Uta Bretschneider aus Leipzig, hält „dezentrale und gerade auch in der Provinz angesiedelte Projekte der politisch-historischen Bildung in Ost und West für wichtiger als einzelne Großprojekte“.
„Wir müssen miteinander reden“ sagte auch Paulino José Miguel aus Mosambik auf der Veranstaltung im Erinnerungszentrum Notaufnahmelager Gießen. „Dies ist auch angesichts aktueller rassistischerund rechtsextremer Entwicklungen der einzige Weg“. *2)
*1) Bericht von 2020: „Der Kapitalismus ist vor 30 Jahren in den Osten zurückgekehrt, doch das Kapital hat seine Heimat im Westen. Entsprechend ist auch die manager-magazin-Liste der reichsten Deutschen eine West-Domäne“ . manager-magazin.de/unternehmen/industrie/brandenburg-und-sachsen-das-sind-die-groessten-unternehmen
*2) Gießener Allgemeine Zeitung vom 4. 10. 2025










